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Hormonersatztherapie in den Wechseljahren: Chancen, Risiken und was „Woman on Fire“ dazu sagt

Die Wechseljahre sind für viele Frauen eine Zeit des Umbruchs – körperlich, emotional und gesellschaftlich. Hitzewallungen, Schlafstörungen, Stimmungsschwankungen und Gewichtszunahme sind nur einige der Symptome, die diese Lebensphase begleiten können. Eine mögliche Lösung, die seit Jahrzehnten diskutiert wird, ist die Hormonersatztherapie (HRT). Doch was steckt dahinter? Ist sie ein Jungbrunnen oder ein Risiko? Und wie ordnet die bekannte Gynäkologin Dr. Sheila de Liz das Thema in ihrem Buch „Woman on Fire“ ein?


Was ist Hormonersatztherapie?

Die Hormonersatztherapie (HRT) bezeichnet den gezielten Ausgleich von Hormonen, die der Körper nicht mehr in ausreichender Menge produziert. Während sie traditionell zur Behandlung von Wechseljahresbeschwerden eingesetzt wurde, hat sich das Verständnis ihrer Anwendungsgebiete deutlich erweitert.

Bei Frauen in der Menopause sinkt vor allem die Produktion von Östrogen und Progesteron, was zu den typischen Symptomen wie Hitzewallungen, Schweißausbrüchen und Stimmungsschwankungen führt. Eine moderne Hormonersatztherapie zielt jedoch nicht nur auf die kurzfristige Linderung dieser Beschwerden ab, sondern kann bei geeigneten Kandidatinnen auch langfristig eingesetzt werden, um die Lebensqualität bis ins hohe Alter zu erhalten.


Die Evolution der Hormonersatztherapie: Von der Kontroverse zur Renaissance

Das Ansehen der Hormonersatztherapie hat in den letzten Jahrzehnten eine wechselhafte Geschichte durchlebt. In den 1990er Jahren wurde sie beinahe euphorisch als „Verjüngungskur“ angepriesen, bis die bahnbrechende Women’s Health Initiative (WHI)-Studie Anfang der 2000er Jahre ernüchternde Ergebnisse lieferte.

Diese Studie zeigte ein erhöhtes Risiko für Brustkrebs, Schlaganfälle und Thrombosen bei bestimmten Formen der Hormonersatztherapie. In der Folge brachen die Verschreibungszahlen dramatisch ein. Heute wissen wir: Die Risiken wurden teilweise überschätzt, weil die Studienteilnehmerinnen im Schnitt 63 Jahre alt waren – also deutlich später als der empfohlene Beginn. Viele Frauen litten unnötig, weil sie keine Therapie erhielten. Diese historische Fehleinschätzung prägt bis heute die öffentliche Meinung und sorgt für Unsicherheit – selbst unter Ärzten.

Doch inzwischen hat eine differenziertere Betrachtung eingesetzt. Die medizinische Forschung erkannte, dass:

  • Das Timing entscheidend ist: Bei Frauen, die innerhalb von 10 Jahren nach Eintritt der Menopause oder vor dem 60. Lebensjahr mit der Therapie beginnen, überwiegen oft die Vorteile
  • Die Art der Verabreichung wichtig ist: Transdermale Pflaster oder Gele bergen ein geringeres Thromboserisiko als Tabletten
  • Individuelle Faktoren berücksichtigt werden müssen: Die persönliche und familiäre Krankengeschichte ist entscheidend für die Risikobewertung

Sheila de Liz und „Woman on Fire“: Ein neues Paradigma

Die Gynäkologin Sheila de Liz hat mit ihrem Buch „Woman on Fire“* eine beeindruckende Bewegung ins Leben gerufen, die das traditionelle Verständnis der Hormonersatztherapie radikal in Frage stellt. Ihr Ansatz geht weit über die medizinische Behandlung hinaus und stellt ein ganzheitliches Lebenskonzept in den Mittelpunkt.

Die zentralen Thesen von „Woman on Fire“:

Hormone als Fundament der Vitalität
De Liz betrachtet Hormone nicht als Medikament gegen Krankheiten, sondern als essentielle Bausteine für Energie, Wohlbefinden und Lebensqualität. Sie argumentiert, dass der natürliche Hormonrückgang nicht einfach als schicksalhaft hingenommen werden muss.

Die Revolution der bioidentischen Hormone
Ein Kernstück ihrer Philosophie ist die Verwendung bioidentischer Hormone. Diese sind chemisch identisch mit den Hormonen, die der menschliche Körper selbst produziert. Im Gegensatz zu synthetischen Hormonen, die eine ähnliche, aber nicht gleiche Struktur aufweisen, können bioidentische Hormone nach Auffassung von de Liz besser verstoffwechselt werden und weniger Nebenwirkungen verursachen.

Individualisierung als Schlüssel zum Erfolg
Statt standardisierter Dosierungen plädiert de Liz für eine maßgeschneiderte Hormonersatztherapie, die auf die individuellen Bedürfnisse, Lebensumstände und Blutwerte jeder Frau abgestimmt ist. Dieser personalisierte Ansatz erfordert zwar mehr Aufwand, verspricht aber deutlich bessere Ergebnisse.


Was sind bioidentische Hormone? Die Definition

Bioidentische Hormone sind hormonelle Wirkstoffe, deren chemische und molekulare Struktur exakt gleich ist zu den Hormonen, die der menschliche Körper selbst produziert. Da sie „körpereigen“ identisch sind, kann der Körper sie auf die gleiche Weise erkennen, verstoffwechseln und verwenden.

Die wichtigsten bioidentischen Hormone in der Hormonersatztherapie für Frauen sind:

  • Estradiol: Die primäre und potenteste Form von Östrogen, die in den Eierstöcken gebildet wird.
  • Estriol: Ein schwächeres Östrogen, das oft in Kombinationen verwendet wird, besonders für lokale Anwendungen.
  • Progesteron: Das Gelbkörperhormon, das für den Zyklusaufbau und als Gegenspieler zum Östrogen wichtig ist.

Der entscheidende Unterschied: Bioidentisch vs. Synthetisch

Das ist der Kern des Arguments von Sheila de Liz und anderen Befürwortern. Hier der Vergleich:

MerkmalBioidentische HormoneSynthetische Hormone
Chemische StrukturExakt gleich den menschlichen Hormonen.Ähnlich, aber strukturell verändert, um sie z.B. patentierbar zu machen oder die Halbwertszeit zu verlängern.
BeispieleEstradiol, mikronisiertes Progesteron (z.B. in Utrogest®)Östrogene: Ethinylestradiol (in der Pille)
Gestagene: Medroxyprogesteronacetat (Provera®), Norethisteron
Wirkweise im KörperWerden an die gleichen Hormonrezeptoren gebunden und lösen die gleichen natürlichen Reaktionen aus.Können aufgrund ihrer veränderten Struktur unterschiedliche oder zusätzliche Wirkungen haben, die nicht natürlich vorkommen.
MetabolisierungWerden im Körper auf den gleichen Wegen abgebaut wie die körpereigenen Hormone.Der Abbau kann komplexer sein und andere Stoffwechselwege belasten (z.B. die Leber).
ZweckGleichen einen Mangel aus und ersetzen, was der Körper nicht mehr produziert.Unterdrücken oft den natürlichen Zyklus (wie in der Pille) und sollen Symptome kontrollieren.

Das Argument der Befürworter (wie Sheila de Liz)

  1. Bessere Verträglichkeit: Da sie „körpereigen“ sind, verursachen bioidentische Hormone angeblich weniger Nebenwirkungen. Ein häufig genanntes Beispiel ist die Wirkung auf die Stimmung: Synthetische Gestagene stehen im Verdacht, stimungsverschlechternd zu wirken, während bioidentisches Progesteron eine eher beruhigende und schlaffördernde Wirkung hat (weil es zu Allopregnanolon verstoffwechselt wird, einem Neurosteroid).
  2. Geringeres Risikoprofil: Befürworter führen an, dass bioidentisches Progesteron im Gegensatz zu einigen synthetischen Gestagenen nicht die negativen Auswirkungen auf das Brustkrebsrisiko und das kardiovaskuläre System habe. Dies wird durch einige Studien gestützt (z.B. die französische E3N-Studie), auch wenn die endgültige Beweislage noch nicht als absolut gesichert gilt. Siehe auch unten im Abschnitt über Risiken.

Warum ist Hormonersatztherapie ein Thema für Longevity?

Die Wechseljahre sind nicht nur eine hormonelle Umstellung, sondern auch ein Wendepunkt für die Gesundheit. Mit dem Absinken des Östrogenspiegels steigt das Risiko für Osteoporose, Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Stoffwechselprobleme. Studien zeigen, dass eine frühzeitig begonnene HRT nicht nur Symptome lindern, sondern auch präventiv wirken kann – ein entscheidender Faktor für ein langes, gesundes Leben.


Vorteile der HRT Hormonen – Mehr als nur Symptomlinderung

Die Vorteile der Hormonersatztherapie gehen weit über die Reduktion von Hitzewallungen hinaus. Hier die wichtigsten Punkte:

1. Linderung von Wechseljahresbeschwerden

Hitzewallungen, Nachtschweiß und Schlafstörungen gehören zu den häufigsten Beschwerden. Studien zeigen, dass HRT diese Symptome um bis zu 75 % reduziert und die Lebensqualität erheblich verbessert.

2. Schutz vor Osteoporose

Östrogen spielt eine zentrale Rolle im Knochenstoffwechsel. Mit dem Wegfall der körpereigenen Produktion steigt das Risiko für Osteoporose und Frakturen. Große Studien belegen, dass HRT das Risiko für Hüft- und Wirbelfrakturen deutlich senkt.

3. Herz-Kreislauf-Gesundheit

Das „Window of Opportunity“-Konzept besagt: Beginnt die HRT innerhalb von 10 Jahren nach der Menopause, kann sie das Risiko für Herzinfarkt und Arteriosklerose senken. Östrogene wirken gefäßschützend, verbessern das Lipidprofil und reduzieren Entzündungsmarker.

4. Schutz vor Demenz und kognitivem Abbau

Neuere Studien zeigen, dass HRT das Risiko für Alzheimer und andere Demenzerkrankungen senken kann, wenn sie frühzeitig begonnen wird.

5. Biologisches Altern verlangsamen

Analysen großer Biobank-Daten legen nahe: HRT-Anwenderinnen sind biologisch jünger als Nicht-Anwenderinnen. Die Gesamtmortalität – insbesondere kardiovaskulär und durch Krebs – war in HRT-Gruppen teilweise niedriger.


Risiken und Kontroversen – Was die Forschung sagt

Trotz der vielversprechenden Möglichkeiten ist die Hormonersatztherapie nicht frei von Risiken und nicht für jede Frau geeignet. Das gilt gilt vor allem für die HRT mit „klasischen“ Präperaten.

Brustkrebsrisiko
Das Brustkrebsrisiko unter einer kombinierte Hormonersatztherapie (Östrogen + Gestagen) steigt leicht an. Dieses Risiko variiert jedoch je nach Art der Hormone, Dauer der Anwendung und individueller Disposition. Bei alleiniger Östrogentherapie ist das Risiko deutlich geringer.

Thromboserisiko
Vor allem bei oraler Einnahme kann die Hormonersatztherapie das Risiko für venöse Thromboembolien erhöhen. Transdermale Systeme (Pflaster, Gele) umgehen den First-Pass-Effekt in der Leber und sind mit einem geringeren Thromboserisiko verbunden.

Herz-Kreislauf-Risiken bei spätem Beginn
Wenn die Therapie erst viele Jahre nach der Menopause begonnen wird, kann sie das Risiko für Herzinfarkt und Schlaganfall leicht erhöhen.

Geringeres Risiko bei Bioidentischen Hormonen
Bioidentisches Progesteron scheint im Gegensatz zu einigen synthetischen Gestagenen nicht die negativen Auswirkungen auf das Brustkrebsrisiko und das kardiovaskuläre System habe. Dies wird durch einige Studien gestützt (z.B. die französische E3N-Studie), auch wenn die endgültige Beweislage noch nicht als absolut gesichert gilt.


Wichtiger Hinweis

Dieser Artikel ersetzt keine ärztliche Beratung. Jede Entscheidung für oder gegen eine Hormonersatztherapie muss individuell mit einer Fachärztin oder einem Facharzt getroffen werden.


Quellen & weiterführende Literatur


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